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Neue Beurteilung des EuGH zur behinderungsrechtlichen Einstufung krankhafter Adipositas (EuGH-Generalanwalt 17.7.2014, C-354/13)

Adipositas in krankhafter Ausprägung kann eine "Behinderung" i.S.d. Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf darstellen
Zwar sind nach den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätzen Diskriminierungen wegen eines eigenständigen Diskriminierungsgrundes „Adipositas“ (Fettleibigkeit) nicht verboten.

Wenn diese jedoch so gravierend ist, dass sie für den Betroffenen an einer gleichberechtigten Teilhabe mit anderen Arbeitnehmern am Arbeitsleben hindert. kann auch eine krankhafte Adipositas, d.h. ein krankhaftes Übergewicht mit einem BMI über 40, unter den Begriff "Behinderung" fallen

Zum Sachverhalt

Nach der Kündigung eines dänischen Tagesvaters, der während der Dauer seiner Beschäftigung nie weniger als 160 kg (BMI 54) gewogen hatte, machte dieser vor einem dänischen Bezirksgericht Schadenersatz wegen Diskriminierung geltend, da nach seiner Auffassung die Kündigung allein auf seinem Gewicht beruhe.

Der EuGH wurde daraufhin um Klarstellung gebeten, ob sich aus dem Recht der Europäischen Union, insbesondere der Vertrag und die Charta, ein eigenständiges Verbot von Diskriminierungen wegen Adipositas ergebe. Ferner stand die Frage zur Klärung, ob krankhafte Fettleibigkeit als Behinderung eingestuft werden könne und deswegen in den Anwendungsbereich der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf falle.

Der EuGH-Generalanwalt Niilo Jääskinen hat die Fragen wie folgt beantwortet:

Einen allgemeinen Grundsatz im Unionsrecht, der wegen eines eigenständigen Diskriminierungsgrundes der Adipositas verbietet, gibt es nicht.

Jedoch kann morbide Adipositas (krankhaftes Übergewicht/BMI über 40 unter bestimmten Voraussetzungen unter den Begriff "Behinderung" fallen.

Zwar ergibt sich aus der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf keine eigenständige Definition der Behinderung.

Hinsichtlich der Adipositas weist der Generalanwalt jedoch darauf hin, dass eine „Behinderung“ nach Auffassung des EuGH als Einschränkung zu verstehen ist, die sich aus langfristigen physischen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen ergeben und den Betroffenen an der vollen und wirksamen, mit anderen Arbeitnehmern gleichberechtigten Teilhabe am Berufsleben hindern können.

So können bestimmte Krankheiten, wenn sie ärztlich diagnostiziert werden und langfristige Einschränkungen nach sich ziehen, als Behinderung i.S.d. Richtlinie eingestuft werden.

Zwar gibt es keine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung einer Person, die für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes nicht kompetent ist. Jedoch sind angemessene Maßnahmen zugunsten des Behinderten zu ergreifen, sofern sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Belastung für den Arbeitgeber führen.

Somit kann Adipositas dann als Behinderung angesehen werden, wenn sie ein solches Maß erreicht hat, dass sie offenkundig ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben darstellt.

Insofern kann nur eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, d.h. ein BMI von über 40, zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine "Behinderung" darstellen.

Die Ursächlichkeit der Behinderung, insbesondere die „selbst verursachte" übermäßige Energieaufnahme, spielt für ihre Bewertung keine Rolle.

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